5 Mythen zum Thema ERP Auswahl

In einem unserer letzten LinkedIn Beiträge haben wir die 5 Mythen der ERP-Auswahl vorgestellt. Aufgrund einiger Nachfragen, wollen wir gerne begründen, warum wir genau diese Punkte als Mythos sehen. Los gehts.

Mythos: Für unser Unternehmen gibt es keine passende ERP-Lösung

Diesem Mythos begegnen wir insbesondere bei Unternehmen, die bisher eine selbstentwickelte Lösung im Einsatz haben. Pauschal kann man natürlich nicht sagen, das es für jedes Unternehmen das passende ERP-System gibt. Sind Anforderungen aufgrund gesetzlicher Vorgaben und/oder eines Wettbewerbsvorteils so individuell, dass man ein ERP-System extrem durch Anpassungsprogrammierung verbiegen müsste um die Prozesse abzubilden, kann eine selbstentwickelte Lösung durchaus sinnvoll sein. In vielen Fällen ist es aber so, das man in der Anforderungsaufnahme auf die Ist-Prozesse schaut. Die Abläufe entsprechen evtl. nicht den Abläufen in einer Standardsoftware. Man müsste sich als Unternehmen (und natürlich als Mitarbeiter) an neue oder veränderte Prozesse anpassen. Dieser Schritt schreckt natürlich ab und es kommt ganz schnell das Argument es gäbe keine passende ERP-Lösung. Allerdings sollte man diese Bewertung erst machen, nachdem man sich ein vollständiges Bild von seinen Anforderungen und dem Markt gemacht hat. Für die Entscheidungsfindung hilft es zudem, sich die Vor- und Nachteile von Standardsoftware noch einmal anzuschauen.

Mythos: Die ERP-Auswahl macht doch die IT Abteilung, die Fachabteilung braucht man in der Auswahl nicht.

Wenn es um das Thema Softwareauswahl geht, schwenkt der Blick schnell Richtung IT Abteilung. Insbesondere bei Unternehmen wo bisher eine selbstentwickelte Lösung im Einsatz war, liegt auch einiges Wissen Softwarelogiken und Datenstrukturen in dieser Abteilung. Die IT Abteilung hat aber in der Regel keinen detaillierten Einblick in die tatsächlichen Arbeitsprozesse der Fachabteilungen und der übergreifenden Prozesse. Aber genau dieses Wissen ist notwendig um Anforderungen an eine neue ERP-Lösung zu formulieren und auch eigene Geschäftsprozesse kritisch zu hinterfragen. Die Anwender arbeiten tagtäglich mit der Software und sollten daher auch die Anforderungen an diese stellen und eine aktive Rolle im ERP-Auswahlprojekt haben. Bezieht man zukünftige Nutzer nicht mit ein, kann dies zu Frust führen. Es entsteht das Gefühl eine Lösung “vorgesetzt zu bekommen”.

Trotz allem ist die IT-Abteilung stark in die ERP-Einführung involviert. Sie ist für den Projekterfolg sogar unverzichtbar, denn ein ERP-System ist immer noch ein digitales Produkt. Die Fachabteilungen wissen meist nicht, wie ihre Prozesse ERP-seitig genau umgesetzt sind. Die Technik hinter der ERP-Software ist ihnen fremd. Dieses Verständnis aufzubauen ist Aufgabe der IT-Abteilung. Daher sollte von Anfang an, auch schon in der ERP-Auswahl, ein Mitglied der IT-Abteilung von Beginn an beteiligt sein (wenn auch nicht unbedingt in der Rolle der Projektleitung). Je mehr die IT über die Abläufe der restlichen Organisation weiß, desto leichter fällt es ihr, Prozessänderungen später technisch umzusetzen oder Fehler zu analysieren.

Mythos: Je mehr ERP Anbieter man sich anschaut, desto besser kann man eine Entscheidung treffen.

Leider ist dem nicht so. Wir haben schon mit Unternehmen gesprochen, die zu uns kamen nachdem sie bereits 10 Anbieter zu sich eingeladen hatten und immer noch keine Entscheidung getroffen haben. Warum ist das so? Lädt man einen Anbieter zu einer Präsentation ein, wird einem in der Regel eine Standardpräsentation gezeigt. Schaut man sich dann einige Tage später die nächste Präsentation an, ist diese natürlich nicht vergleichbar. Die Unsicherheit wächst und so geht es immer weiter. Spätestens nach der dritten oder vierten Präsentation weiß man nicht mehr, was eigentlich in der ersten Präsentation positiv / negativ war. Daher plädieren wir dafür, sich maximal vier Systeme in einem relativ kurzen Zeitraum anzuschauen. Zudem sollte jede Präsentation identisch ablaufen, sodass auch die Möglichkeit einer Vergleichbarkeit entsteht. Am besten gelingt das in Form von Szenarien, also vorgeschriebenen Prozessen die im System gezeigt werden sollen. Wie kommt man zu den vier Systemen? Indem man im Vorfeld nicht geeignete Anbieter aussortiert. Hierzu empfiehlt es sich, einen Anforderungskatalog aufzustellen (Achtung: Beschränkung auf wesentliche geschäftskritische Funktionen) und mit potenziellen Anbietern darüber zu sprechen. Auch sollte man sich im Vorfeld Gedanken machen, was einem an einem ERP-Anbieter noch wichtig ist. Das kann von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein. Dem einen ist es wichtig das die Software beim Anbieter gehostet werden kann, andere möchten nicht mieten oder kaufen und wieder andere möchten einen lokalen Partner. Über die Besprechung der Anforderungen und die eigenen individuellen Entscheidungskriterien, kann die Anzahl der infrage kommenden Anbieter suksessive reduziert werden. Zur Anbieterpräsentation werden dann nur die 3-4 Favoriten eingeladen. Stellt sich dann heraus, dass es nicht passt, können weitere Präsentationen geplant werden.

Mythos: Eine ERP-Auswahl ist in einem Monat erledigt

Das eine ERP-Auswahl mitunter ein zeitintensiver Prozess sein kann, ist vielen Entscheidungsträgern nicht bewusst. Eine so enorme Investitionsentscheidung wie ein neues ERP-System trifft man nicht von heute auf morgen und schon gar nicht indem man sich nur ein System angeschaut hat. Bei einem mittelständischen Unternehmen gehen wir davon aus, das ein ERP-Auswahlprozess sich über 3-6 Monate hinziehen kann. Wenn wir diesen Zeitraum benennen, schauen wir oft in erstaunte Gesichter: “ Was dauert daran so lange”?. Die Antwort ist relativ einfach. In einer strukturierten ERP-Auswahl werden verschiedene Phasen durchlaufen:

  • Prozesse analysieren und Anforderungen erheben

  • Marktrecherche durchführen und Anforderungen mit dem Anbieter besprechen

  • Anbieterpräsentationen durchführen

  • ggf. weitere Risikoreduzierende Maßnahmen wir Referenzbesuche und/oder Prozessworkshops

  • Vertragsdiskussionen

In jeder dieser Phasen bedarf es der Abstimmung zwischen verschiedenen Parteien. In der ersten Phase der Anforderungsanalyse werden Prozesse besprochen und die daraus entstandenen Anforderungen natürlich evaluiert. Diese Phase kann schon 3-4 Wochen in Anspruch nehmen, je nachdem wie die Verfügbarkeiten sich im Beratungshaus sowie beim Kunden gestalten und ob Einzelgespräche oder Gruppenworkshops durchgeführt werden. Kommen Feiertage, Ferienzeiten oder saisonale Abhängigkeiten hinzu, kann sich der Zeitraum noch länger hinziehen. Auch die Phase der Vertragsverhandlungen sollte hier nicht unterschätzt werden. Natürlich gibt es auch ERP-Auswahlprojekte die schneller gehen.

Mythos: Durch ein detailliertes Lastenheft in der Auswahl reduzieren wir das Risiko, dass das Projekt scheitert.

Die zentrale Aufgabe eines Lasten- und Pflichtenhefts ist die Dokumentation und der damit verbundene Anspruch auf vollständige Erfüllung der verhandelten Inhalte. Somit sichern sich sowohl Kunde als auch ERP-Anbieter im angegebenen Leistungsumfang ab. Daher ist der sicherlich größte Vorteil von Lasten- und Pflichtenheften, dass die Ziele und der Umfang des Projekts klar definiert werden. Ein Lasten- bzw. Pflichtenheft gewährleistet Planungssicherheit sowohl beim Auftraggeber als auch beim Auftragnehmer und gibt dem Auftragnehmer die Möglichkeit die Einführungskosten einer Software valide zu kalkulieren und spiegelt die Vorstellungen des Auftraggebers über den erwarteten Softwareumfang wider.

Im Gegenzug schränkt dieser Leistungsumfang jedoch auch ein. Wir wollen das mit einem kurzen Beispiel erläutern: Unsere Kunden haben häufig Geschäftsprozesse, die seit Jahren im Unternehmen etabliert sind und einer Effizienzsteigerung bedürfen. Die Erarbeitung neuer Prozesse ist eine Kombination aus der Nutzung von ERP-Standardfunktionen und der Etablierung neuer interner Abläufe. Wurden jedoch bereits vor dem ERP-Einführungsprozess Lasten und Pflichten festgehalten, entsteht nun die Herausforderung, Anpassungen am Lastenhefts vorzunehmen. Eine flexible Lösungsfindung im Projekt ist somit möglich, aber mit viel Aufwand verbunden. Daher sollte der Kunde idealerweise von Beginn an sicherstellen, den kompletten, bis ins Detail beschriebenen Leistungsumfang zu kennen und zu formulieren. Was zunächst einfach scheint, stellt sich dann als schwierig heraus. Denn ob ein Prozess für ein Unternehmen und die Mitarbeiter mit dem neuen ERP-System gut funktioniert, weiß man aus unserer Erfahrung erst wenn man es tatsächlich einmal ausprobiert hat.