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Wie Integration gelingt
Wie kann Integration in ERP-Projekten echte Wirkung entfalten – jenseits von Middleware und Schnittstellenlisten?
In einem ERP-Talk diskutierten der IT-Manager Oliver Gebert und Christian Glaschke, Geschäftsführer der Glasholz GmbH, wie Integration gelingen kann – über Middleware und Schnittstellen hinaus.
Wenn ein Unternehmen ein neues ERP-System einführt oder ein bestehendes modernisiert, müssen zahlreiche IT-Systeme zusammengebracht werden. Dabei wird Integration häufig als rein technische Aufgabe betrachtet: Schnittstellen müssen definiert, Datenformate abgestimmt und Middleware eingebunden werden. Doch diese Perspektive greift zu kurz. Integration ist nicht nur Technik, sondern eine strategische Disziplin, die eng mit der Unternehmensentwicklung verknüpft ist.
Eine durchdachte Integrationsstrategie kann entscheidend dafür sein, wie flexibel, skalierbar und zukunftsfähig ein Unternehmen aufgestellt ist. Sie beeinflusst nicht nur IT-Prozesse, sondern auch operative Abläufe, Datenqualität und Entscheidungsfindung im Management.
Integration beginnt klein, wird aber schnell komplex
"Mit dem zweiten System beginnt die Integration", sagt Oliver Gebert. Gemeint ist: Sobald zwei Anwendungen Daten austauschen, wird Integration zur Aufgabe. Zunächst ist das meist unscheinbar – etwa beim Datentransfer über eine einfache CSV-Datei oder eine manuelle Schnittstelle. Doch sobald weitere Systeme dazukommen, steigen die Komplexität und der Pflegeaufwand erheblich.
Datenmodelle passen nicht zueinander, Schnittstellen funktionieren nur unter bestimmten Voraussetzungen, und Prozesse geraten aus dem Takt. So entstehen Inkonsistenzen, manuelle Nacharbeiten und letztlich auch Misstrauen in die digitalen Systeme. Spätestens dann zeigt sich: Integration ist keine Frage einzelner Schnittstellen, sondern eine systemische Aufgabe.
Was Unternehmen mit Integration wirklich erreichen wollen
Die Motivation, Integration ernsthaft anzugehen, ist vielfältig. Die Diskussion zwischen Christian Glaschke und Oliver Gebert verdeutlicht, dass Integrationsprojekte oft aus strategischen und betrieblichen Notwendigkeiten heraus entstehen:
1. Reduktion von Komplexität und bessere Wartbarkeit: Historisch gewachsene IT-Landschaften führen oft zu unzähligen, individuell entwickelten Schnittstellen. Diese sind schwer zu pflegen, intransparent und nicht selten fehleranfällig. Integration schafft Ordnung und Standards.
2. Datenschutz, Compliance und Sicherheit: Insbesondere durch die DSGVO sind Unternehmen gezwungen, Datenflüsse genau zu dokumentieren und abzusichern. Zugriffsbeschränkungen, Berechtigungsmodelle und Audit-Trails müssen nachvollziehbar abgebildet sein. Eine gut gestaltete Integrationsarchitektur unterstützt dabei.
3. Konsistenz in Daten und Prozessen: Fehlende oder inkonsistente Schnittstellen führen dazu, dass Kund*innen unterschiedliche Informationen sehen, Berichte voneinander abweichen und Entscheidungen auf unsicherer Datenbasis getroffen werden. Integration stellt sicher, dass Daten über Systeme hinweg übereinstimmen.
4. Zukunftsfähigkeit und Skalierung: Die Einführung eines ERP-Systems ist selten das Ende der Digitalisierung. Es folgen Portale, Apps, KI-basierte Services oder Plattformanbindungen. Nur wer von Anfang an eine flexible Integrationsarchitektur aufbaut, kann diese Entwicklung effizient mitgehen. Christian Glaschke betont: "Ob 50.000 oder 83 Millionen Nutzer – das braucht eine ganz andere Integrationsarchitektur."
Integration ist mehr als IT – sie ist Businessstrategie
Oft wird Integration an die IT-Abteilung delegiert. Doch damit wird sie unterschätzt. Denn technische Fragen wie API-Formate oder Protokolle sind nur ein Teil des Ganzen. Viel entscheidender ist die Anbindung an die Unternehmensziele. Fachbereiche, Management und IT müssen gemeinsam definieren:
- Welche Prozesse sind strategisch relevant?
- Welche Systeme bleiben langfristig bestehen?
- Welche Performance- und Sicherheitsanforderungen bestehen?
- Wo entstehen heute Medienbrüche oder Prozesslücken?
"Wenn ich Logistik höre, denke ich sofort an Transaktionsgeschwindigkeit und Datenqualität. Daraus lassen sich klare Anforderungen an die Integration ableiten", so Gebert. Dieses Denken in Business Capabilities ist zentral, um Integration zukunftsfest aufzusetzen.
Unterschiedliche Anforderungen brauchen passende Lösungen
In der Praxis gibt es nicht die eine ideale Integrationslösung. Je nach Ausgangslage sind unterschiedliche Szenarien denkbar – und alle haben ihre Berechtigung:
- Punkt-zu-Punkt-Schnittstellen eignen sich für einfache, stabile Verbindungen mit geringer Dynamik.
- Middleware-Lösungen (z. B. ESB, iPaaS) bieten zentrale Steuerung und Monitoring.
- API-Management-Plattformen eignen sich für dynamische Architekturen mit hoher Service-Frequenz.
Christian Glaschke empfiehlt, diese Szenarien bewusst durchzudenken und mit realistischen Projektportfolios zu hinterlegen: "Gerade wenn Unternehmen wachsen wollen, müssen Integrationen nicht nur heute funktionieren – sie müssen erweiterbar sein."
Dabei sollten auch Faktoren wie vorhandenes Know-how, Lizenzkosten, Laufzeitmodelle und Wartbarkeit einbezogen werden. Integration ist kein Selbstzweck, sondern muss sich in das Betriebsmodell des Unternehmens einfügen.
Fachbereiche einbinden: ohne sie geht es nicht
Die besten Informationen über Prozesse, Medienbrüche und operative Risiken liegen in den Fachabteilungen. Deshalb sollten sie von Anfang an in die Integrationsplanung einbezogen werden. Nur wer versteht, wie ein Prozess im Alltag gelebt wird, kann sinnvolle Schnittstellen gestalten.
"Wenn der letzte Schmerzpunkt ein fehlgeschlagener Lieferantenschnitt war, dominiert das die Diskussion", warnt Gebert. Wichtig ist daher, operative Erfahrungen einzubeziehen, ohne den strategischen Weitblick zu verlieren.
Wissen sichern, Entscheidungsgründe dokumentieren
Ein zentrales Risiko in Integrationsprojekten ist der Wissensverlust nach dem Go-live. Schnittstellen laufen im Hintergrund weiter, Änderungen erfolgen durch andere Teams, Kontextwissen geht verloren. Die Folgen: Fehlfunktionen, teure Debugging-Prozesse oder ungewollte Systemeffekte.
Christian Glaschke plädiert deshalb für strukturierte Dokumentation: Architekturentscheidungen sollten als sogenannte "Architecture Decision Records" (ADR) in der Codebasis abgelegt werden. So lässt sich auch Jahre später noch nachvollziehen, warum ein Szenario so und nicht anders umgesetzt wurde.
Oliver Gebert betont ergänzend, dass die Betriebsorganisation frühzeitig eingebunden werden muss. Wer Schnittstellen entwickelt, muss auch planen, wie diese gepflegt, angepasst und überwacht werden.
Integration ist ein kontinuierlicher Prozess
Viele Unternehmen betrachten Integration als Projekt. Doch das greift zu kurz. Systemlandschaften, Anforderungen, Plattformen und regulatorische Vorgaben ändern sich stetig. Deshalb muss Integration als dauerhafte Aufgabe organisiert werden:
- Zielbild definieren: Welche Systeme, Prozesse, Funktionen und Daten sollen verbunden werden?
- Ist-Analyse durchführen: Welche Systeme existieren, welche Schnittstellen bestehen und wo sind aktuell Lücken?
- Szenarien bewerten: Welche Technologien passen zu Anforderungen und Ressourcen?
- Fachabteilungen einbinden: Prozesse verstehen, Brücken erkennen, Bedarfe priorisieren.
- Verantwortung klären: Wer betreut die Integration langfristig? Wie wird Wissen gesichert und der Änderungsprozess organisiert?
- Regelmäßige Reviews einplanen: Sind die Annahmen noch gültig? Haben sich Anforderungen verändert?
Diese zyklische Betrachtung ist essenziell, um eine tragfähige Integrationsarchitektur zu etablieren und dauerhaft leistungsfähig zu halten.
Fazit: Integration schafft Verbindung – nicht nur zwischen Systemen, sondern auch zwischen Technik und Strategie
"Integration ist kein abgeschlossenes Projekt, sondern ein lebendiger Teil der Unternehmensstrategie", so Glaschke. Sie verbindet Menschen, Systeme, Daten und Ziele. Wer Integration bewusst gestaltet, schafft nicht nur technische Lösungen, sondern eine Grundlage für nachhaltige Weiterentwicklung.
"Ich würde empfehlen, Integration aktiv anzugehen – mit einem klaren Zielbild, mit Szenarien, die man bewerten kann, und mit dem Bewusstsein, dass Entscheidungen überprüfbar bleiben müssen", fasst Gebert zusammen.
Integration wirkt – wenn sie strategisch gedacht, kollaborativ entwickelt und dauerhaft gepflegt wird. Dann wird aus einem Schnittstellenprojekt ein echter Wettbewerbsvorteil.
Hier geht es zur Aufzeichnung des LinkedIn Lives zum Thema "Integration neu denken – zwischen Business Value, Technologie und Realität" mit Christian Glaschke und Oliver Gebert: https://www.linkedin.com/events/integrationneudenken-zwischenbu7325796622389469184/about/
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